Früher hat man, wenn man es sich leisten konnte, nach Marken gekauft. Brauche ich einen neuen Fön, dann kaufe ich den von AEG, Siemens oder Philips. Die machen gutes Zeug; das wird schon passen.
Ich kann alles bewerten
Heute sollte alles einfacher sein. Jedes Produkt, jede Dienstleistung, jede App, jedes Unterhaltungsprodukt und sogar Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind praktisch mit bis zu fünf Sternen bewertbar. Das Prinzip erinnert an Hotels und man verbindet natürlich einen Stern mit „gerade so akzeptabel“ und fünf mit „ausgezeichnetem Luxus“.
In die Realität lässt sich das Prinzip nicht übertragen. Ein Hotel mit zwei Sternen ist für eine Übernachtung bei einem Messebesuch vollkommen angebracht und akzeptabel, ein Restaurant mit zwei Sternen hat keine Chance mehr, Kunden über das Internet zu finden.
Das führt dazu, dass Online-Bewertungen in die Extreme tendieren. Ist das Erlebnis positiv, so gibt es fünf Sterne, passt ein Detail nicht, so gibt es einen. Vor Jahren sah ich ein Restaurant, welches nur zwei Bewertungen hatte. Eine mit fünf Sternen, welche das Ambiente lobte, und eine mit einem Stern, welche sich darüber beschwerte, dass die Bedienung dem Freund der Bewertenden zu schöne Augen machte. Schlauer war ich damit nicht. Kein Wunder, dass YouTube schon lange die Sterne aufgegeben hat. https://techcrunch.com/2009/09/22/youtube-comes-to-a-5-star-realization-its-ratings-are-useless/
Es braucht also eine Lösung
Verschiedene Anbieter versuchen, dieses Phänomen einzugrenzen. Bei der Ärztebewertung von Jameda werden Kriterien von Freundlichkeit bis zur Parksituation bewertet. Das macht Sinn: Wenn ich zum Arzt laufe, ist mir egal, ob ich da parken kann; gehe ich auf der anderen Seite zu einem Arzt, welcher mich unprofessionell behandelt und meiner Gesundheit schadet, so kann ich nur ein paar Aspekte schlecht bewerten, obwohl ich persönlich jedem von dem Besuch abraten würde.
Die IMDB versucht mit eigenen Formeln dagegen vorzugehen und hat damit Ratings, welche einen guten Aufschluss geben. Die Liste der Top-250-Filme enthält viele Klassiker. Plattformen wie Metacritic haben jedoch Probleme mit Review Bombing. Wo ist der Mehrwert für mich als Konsument, wenn ein Spiel 1/10 gewertet wird, weil es exklusiv auf der Xbox erscheint? Darf ich nur erfahren, ob ein Spiel spaßig ist, wenn es einem künstlichen Moralstandard entspricht?
Manipulative Bewertungen
Vor vielen Jahren besuchte ich ein Start-up-Treffen beim Müllerverlag, bei dem neue Produkte vorgestellt wurden. Eines war ein offenes W-Lan für Hotels. Es hatte all die Features, welche man so erwartet, der USP war jedoch die Bewertungsfunktion. Wenn der Nutzer das Hotel bewertete, wurden positive Bewertungen direkt bei HolidayCheck (und anderen) Plattformen eingestellt, negative gingen via Mail an den Hoteldirektor. Viel Aufwand um negative Reviews zu verhindern, aber es verkaufte sich angeblich gut.
Es gibt natürlich auch einen großen Markt für falsche Bewertungen, teils werden Menschen dafür bezahlt, ein Produkt zu bestellen und zu bewerten, indem sie es anschließend auf anderem Weg erstattet bekommen. Um dies zu organisieren, gibt es viele Plattformen, die dies direkt übernehmen.
Und es gibt auch noch diejenigen, welche juristisch gegen schlechte Bewertungen vorgehen.
Ich schreibe keine Nutzerbewertungen mehr und lese sie kaum, das Ganze erscheint mir nicht zielführend. Artikel oder Videoreviews helfen mir mehr weiter.
Ein umfangreicher Einkauf
Abschließend möchte ich von meiner kleinen Reise erzählen, wie ich einen USB-DVD-Brenner bei Amazon erwerben wollte. Die Suche ergab hunderte Produkte im Preisbereich von 15 bis 20 €. Cool. Ich bestellte den bestbewerteten und erhielt nach ein paar Tagen das Produkt. Neben der Verpackung bekam ich einen Zettel, welcher mich aufforderte, das Produkt mit 5 Sternen zu bewerten und anschließend einen 20-€-Amazon-Gutschein zu erhalten, wenn ich diese Bewertung an eine gegebene Adresse schickte.
Das Produkt war entsprechend. Nach zwei DVDs brach der Kontakt unwiederbringlich ab und selbst bei den ersten beiden war das Teil auffällig laut. Auf meine Rückversandbitte antwortete der Hersteller nicht, also kontaktierte ich den Amazon-Support und erhielt über dessen Garantie mein Geld zurück.
Ich bestellte das nächstbestbewertete Modell und das Spiel wiederholte sich, nur diesmal ohne Zettel.
Also wechselte ich meine Strategie. Ich nutzte den Markenfilter und bestellte das erste Produkt von einer Marke, die ich kannte. Den USB-DVD-Brenner von HP für 25 €, denn die machen gutes Zeug und das passte schon. Alles wie früher, nur aufwendiger.