Die langsame Realität der deutschen Unternehmensgründung und Gedanken zum Zustand der Commerzbank

Nach dem Notar ist die Gründerlaune noch gut.

Ich habe mich selbstständig gemacht. Also so richtig. Zwar habe ich schon immer nebenbei als Freelancer gearbeitet, aber nun habe ich beschlossen, keiner geregelten Arbeit mehr nachzugehen, sondern das Ganze einfach selbst zu machen.

Also habe ich mich vorbereitet wie jeder deutsche Gründer: drei Folgen Höhle der Löwen auf zweifacher Geschwindigkeit geschaut, die FDP-Mitgliedschaft poliert und mein Sakko halbherzig gebügelt. Einfacher Plan: Wir gründen die Politech Dynamics UG (haftungsbeschränkt), dann akquirieren wir Softwarekunden und verdienen damit Geld. Mit einem Plan auf drei Flip-Chart-Seiten ging es in meinem umgebauten Hühnerstall los.

Doch Achtung! Wir müssen dies in bürokratische Ordnung bringen!

Hier braucht man erstmal einen Termin und am 10.4. konnten wir dann in Lauf an der Pegnitz (nur 100 km Fahrt) gründen. Das Ganze geht noch recht schnell und man darf dann direkt nicht loslegen mit dem Geschäft, denn man braucht erst die Eintragung im Handelsregister. Aber die gibt es natürlich erst, wenn das Gründungskapital da ist, und das kann man ja erst einzahlen, wenn man ein Geschäftskonto hat und dieses kann man nicht eröffnen, bevor man beim Notar war. Hört sich komplex an, ist es auch.

Bekanntes Motto in meinem Umfeld ist: Egal was du tust, geh nicht zu Fidor. Also gehen wir, trotz Kosten, doch zu einer klassischen Bank. Die Commerzbank hat den Kommerz ja schon im Namen, holen wir uns dort doch ein Geschäftskonto. Von unserem Online-Dienstleister gab es sogar einen Empfehlungslink mit Rabatt. Nicht so schnell, Cowboy! Das Online-Formular ist selbst für unseren Standardfall nicht immer passend und dann gibt es auch noch einen Programmfehler, bei dem einem erstmal weder die Hotline, noch die Filiale vor Ort weiterhelfen kann. Man kann es nicht absenden und die Fehlermeldungen ergeben keinen Sinn. Also: vor Ort eröffnen. Aber nein, ein Geschäftskonto kann nur der Geschäftskundenberater machen, und der ist nicht da, aber man kann ja in ein paar Tagen einen Termin machen.

Warum sind Firmengründer meist aus reichen Familien? Es könnte daran liegen, dass man sich diesen beschriebenen Spaß erstmal leisten muss. Wir konnten ein Quartal keine Rechnung erstellen, für jeden Schritt bezahlt man und muss entweder extrem viel Erfahrung mit der Bürokratie haben oder sich kostenpflichtig beraten lassen. Wir sind zwei Gründer mit Erfahrung im Start-up-Geschäft, einer kaufmännischen Ausbildung, einem VWL-Studium und perfekten Deutschkenntnissen. Das dies ausschließend ist, ist für mich offensichtlich und Forderungen nach einfacher und schneller Unternehmensgründung sind für mich daher auch eine Form von sozialer Gerechtigkeit.

Wir lernen also: Ein ausgebildeter Bankkaufmann bei der Commerzbank kann nicht mal ein Konto anlegen. Einen Kaugummiautomaten, der keinen Kaugummi verkauft, reißt man ab. Was ist also der Zweck einer Bank, die keine Konten eröffnen kann? Im Eingangsbereich der Commerzbank können zumindest ein paar Obdachlose übernachten, dies ist meiner Ansicht nach der einzige Mehrwert, den der teilverstaatlichte Konzern noch bieten kann.

Danke an Dominik für die Hilfe beim Logo

Also doch eine der unbekannten Online-Banken. Wir gehen zu Qonto. In 48 Stunden haben wir unsere temporären IBANs für die Stammkapitaleinzahlung und dann die IBAN fürs richtige Konto mit Zugängen und der Bestätigung für den Notar. Diese Qonto-Leute scheinen in der Berufsschule aufgepasst zu haben und können den Haken „Geschäftskonto“ in ihrer Banksoftware klicken, das kriegen die bei der Commerzbank nicht hin. (Die Commerzbank meldete sich erst Tage später nochmal mit dem Hinweis, man solle den Anmeldeprozess noch einmal komplett neu starten. Der Programmfehler sei zwar nicht behoben, aber man könne ihn umgehen, wenn man die Angaben ändert.)

Gut, perfekt, der Notar schickt am nächsten Werktag alles ans Registergericht und in 2-10 Wochen (je nach Gericht) bekommen wir dann unsere Handelsregisternummer und können endlich handeln. Also sitzen wir erstmal rum.

Nach drei Wochen: Post. Ich preise den Briefträger mit Weihrauch und Salbei und erhalte die langersehnte Registernummer. Für nur 150 € hat jemand ein Formular digital übertragen und geprüft, ob unsere Softwareklitsche kein genehmigungspflichtiges Gewerbe ist. Für so viel Geld könnte man sich ja mal mehr beeilen, aber zum Glück sind wir nicht in Nürnberg, da soll es dreimal so lange dauern.

Cool, kann losgehen? Nö.

Jetzt braucht es eine Gewerbeanmeldung. In Pleinfeld ist das simpel, freundlich, digital und online. In der Datenschutzerklärung, die wir zur Bestätigung erhalten, ist nicht mal die Adresse des Datenschutzbeauftragten von Herrn Mustermann in 12345 Musterstadt geändert. Für das Formular zahlt man eine Gebühr. Warum geht das nicht automatisch? Weil halt.

Aber gut, Handelsregister ist da, Gewerbeanmeldung ist da, können wir nun coole Software verkaufen? Haha, nein!

BETRUG! Sowohl beim Notar als auch vom Amtsgericht erhält man eine Warnung über Betrugsversuche bei Gründern. Es kommen angebliche Gerichtsschreiben, die zur Zahlung von hohen dreistelligen Beträgen auf Konten auffordern. Diese Post bekamen wir natürlich auch, ich zeigte diese bei der Polizei in Weißenburg an. Das angebliche Konto war in Polen.  Als ich bei der polnischen Bank anrief interessierte man sich wenig dafür, man könne nichts tun. Erst auf die Rückfrage: „Ich sage also der Polizei, dass ich Ihnen die IBAN mitteilen wollte, damit Sie das Konto sperren können, aber sie sich geweigert haben, diese aufzunehmen, ok?“, wurde ich in die Security-Abteilung der Bank durchgestellt.

Jetzt brauchen wir Steuernummern, denn ohne die darf man keine Rechnung schreiben und ohne Rechnung ist das Geldverdienen recht schwer. Dazu gibt es einen Fragebogen vom Finanzamt. Den kann man dann ausfüllen. Da gibt es ganz viele Begriffe, die man noch nie gehört hat, also geht man zum Steuerberater, der einem – gegen Bezahlung natürlich – gerne hilft, dieses Formular auszufüllen. Das ist sogar digital, das ist so digital, dass es dann sechs Wochen dauert, bis man postalisch die Steuernummer vom Finanzamt bekommt. Immer noch besser als bei der Commerzbank. Zumindest funktioniert das Formular. Aber die Flexibilität einer Behörde kann man von einem Unternehmen der Commerzbank nicht erwarten. Wo kämen wir auch hin, wenn man die beworbenen Dienstleistungen eines Unternehmens in Anspruch nehmen könnte?

Es ist mittlerweile Juli.

Zwar soll man, laut Webseite, nicht beim Finanzamt anrufen, aber mit Durchtelefonieren kommt raus, dass unser Antrag erst im falschen Finanzamt gelandet ist, aber man gibt ihn nun weiter. Am nächsten Tag bekommen wir die Nummer mündlich mitgeteilt, damit wir loslegen können. Ein Service, der vermutlich außerhalb des Vorstellungsvermögens der Commerzbank liegt.

Gut, Ende Juli können wir jetzt arbeiten. Aber noch kein Gehalt und Sozialabgaben zahlen, denn die Lohnsteuer-Nummer kommt mit nochmals weiteren Tagen Verspätung. Mittlerweile haben wir Aufträge akquiriert und wir liefern zum Monatsbeginn unser erstes Produkt aus. Wir haben Subunternehmer in Form von Freelancern und kaufen Waren ein, um unsere Produkte zu gestalten. Wir haben noch keinen Cent eingenommen, denn: Man braucht jetzt die UST-ID. Die wurde auch schon längst beantragt, und kam dann heute, also am 13.7., per Post. Über drei Monate nach der Unternehmensgründung. Wir schaffen Umsatz, wir schaffen Arbeitsplätze und produzieren Software, um unternehmerische Prozesse zu verbessern, beraten IT-Abteilungen, wie man seine Software besser macht und arbeiten mit der Politik daran, KI-Lösungen im Alltagsbetrieb einzusetzen. Das ist dieses Wirtschaftswachstum, was in den Tagesschauberichten immer gefördert werden soll, doch praktisch muss man sich hier durch den Bürokratiedschungel schlagen, davon profitiert keiner.

Die FDP fordert den One-Stop-Shop für Unternehmensgründung in 24 Stunden. Das braucht es meiner Meinung nach gar nicht. 2-3 Wochen wären vollkommen ok, man braucht eh etwas Vorbereitung und man stellt Rechnungen ja erst im Nachgang, aber drei oder mehr Monate sind vollkommen inakzeptabel, da hilft auch keine Digitalisierung, sondern abgeschaffte Prozesse.

Fazit: Unternehmensgründung in Deutschland ist wie die Commerzbank: veraltet, in desolatem Zustand und benötigt dringend eine komplette Reform.

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