Ich versuche ja offen zu sein für Entertainment, das mir nicht gefällt. Immerhin schaue ich Wrestling und Dart, zwei Dinge die viele andere sicher für dumm oder langweilig halten. Aber Kick überschreitet eine Grenze, die schwer zu definieren ist. Nicht weil das Angebot dumm oder langweilig ist, und das ist es, sondern weil die dort verfügbaren Streams aktiv schädlich sind.
Kick ist praktisch ein Ableger des Online Casinos Stake, einem Crypto-Casino mit Sitz in der Karibik, welches durch das Sponsoring von Twitch-Streamern zu Bekanntheit und Größe gelangt ist. Es ist die Antwort auf das Bestreben von Twitch, die Flut an Glücksspielinhalten einzudämmen. Der Markt regelt?
Auf Kick gibt es gefühlt keine Regeln. Der “Über 18”-Check ist nur eine Box, welche man wegklicken muss, es gibt keinen Zwang zur Registrierung oder Alterscheck, die Plattform ist komplett offen und genauso wird sich auch von den Streamern verhalten.
Der Großteil der Creators betreibt Glücksspiel, vaped und ist recht offensichtlich betrunken oder auf anderen Substanzen drauf. Schnell erhält man Tipps, wie man ein gutes und sicheres Glücksspiel betreibt, von Menschen, deren Lebensinhalt offensichtlich das Verspielen von immensen Mengen an Geld ist. Klassische, erwiesen falsche Spieler-Klischees werden permanent von Chattenden oder Spielenden wiederholt. “Das Spiel habe ich lange nicht gespielt, dann muss ich ja jetzt gewinnen”, ist ein häufig wiederholtes Mantra.
Unregulierter Markt führt zu Eskalation und Kondensierung des Produktes. Und dies ist auch auf Kick zu beobachten. Fast jeder größere Streamer spielt mehr als ein Spiel gleichzeitig und verlost noch Dinge im Chat. Manche zeigen bis zu vier automatisch laufende Spiele gleichzeitig und machen einen großen Hype darum, dass man im Chat bestimmen kann, welches Spiel als nächstes gespielt wird. Slots sind ein Computerprogramm. Die Eingabe ist der Einsatz in $, der Output ist ein Gewinn in $. Ob dies nun durch 3 gleiche Kirschen, 5 Cowboys oder einen goldenen Stern geschieht, ist praktisch egal. Die Auswahl des Spiels und des Einsatzes ist auch die einzige wirkliche Interaktion, die der Spieler tätigen kann.
Die andere Form der Eskalation ist natürlich der Spielbetrag. Während die meisten zwischen 30 Cent und einem Dollar pro Spiel einsetzen, ist der Top-Streamer mit 1000 $ pro Spiel dabei. In den 20 Minuten, in denen ich ihm zuschaue, verliert er zweihunderttausend Tacken. Ob er sein Geld oder das des Casinos verspielt, ist nicht klar, für den Zuschauer macht das aber keinen Unterschied. Er gibt damit an, über 3 Millionen an seinen Chat verlost zu haben, cool, aber woher kommt dieses Geld?
Stake, und ein paar andere Casinos, sind auf der Seite omnipräsent. Fast jeder hat einen Affiliate Link im Profil und Gutscheincodes permanent am Bildschirmrand eingeblendet. Selbst Streamer, die gerade nicht aktiv zocken. 95 % der Einnahmen über Plattform-Abos sollen direkt an den Streamer gehen, mit der Plattform wird also kein Geld verdient. Schlagzeilen machen Multi-Millionendeals für Personen, die verpflichtet werden, auf der Plattform zu publizieren. Mit teils 50.000 Zuschauern sind dies zwar enorme Reichweiten, stehen jedoch in keinem Verhältnis zu auch nur mittelmäßigen Fernsehsendungen. Damit sich dies für die Plattform lohnt, müssen die Conversion Rates von Zuschauern zu Casino-Kunden enorm sein.
Und das Ziel ist hier nicht, ein lustiges Unterhaltungsprodukt zu verkaufen, wo ich mal für 5 € ein bisschen am Automaten drücke, oder 10 Mark auf das nächste Fußballspiel setze. Stake hat mir gezeigt, was passiert, wenn es absolut keine Glücksspielgesetzgebung gibt, dieser libertäre Traum nutzt jeden möglichen Hebel aus:
Deutscher Glücksspielstaatsvertrag | Kick/Stake-Realität |
Nach jedem Spin muss mindestens 5 Sekunden pausiert werden | Spiele haben einen Turbomodus, ich kann also teils zweimal die Sekunde die Slots drehen |
Höchsteinsatz 1 € pro Dreh, maximal 400 € Gewinn | 1000 $ pro Dreh sind normal, Millionengewinne möglich |
Auto-Spin-Verbot | Es gibt kein Spiel ohne automatisches Drehen |
Keine Glücksspielwerbung zwischen 6-21 Uhr | Die Plattform ist ein 24-h-Werbeportal |
Maximalverlust von 60 € pro Stunde | 100 $ Verlust in 5 Minuten sind normal |
Verbot von Jackpot-System | 480 verschiedene Jackpot-Slots im Angebot |
Klar, Stake ist nicht in Deutschland ansässig, aber ich möchte hier den Vergleich ziehen, da dieser deutsche Glücksspielstaatsvertrag von Suchtexperten als “Lehrstück für politisches Versagen” bezeichnet wird.
Stakes Ziel muss es sein, Menschen in die Online-Spielsucht zu treiben, dafür investieren sie Milliarden an Geldern für Streaming um international neue Süchtige anzuwerben und sich zu bereichern. Das ist die einzige Zielgruppe. Die Streamer bezeichnen sich meist selbst als spielsüchtig, Ausreden wie “Ich sage ja, man soll nicht spielen” sind auf dem Level eines Heroindealers, der nach jedem Verkauf sagt “Drogen sind nicht gut für dich, hier ist mein Affiliate-Code für 2 g gratis, wenn du 20 g in den nächsten 7 Tagen kaufst”.
Der Spielerschutz auf der Seite ist so lächerlich, dass ich ihn noch abschließend hervorheben möchte: Die britische Seite BeGambleAware wird hier und da verlinkt. Selbst bei einer deutschen Streamerin, obwohl die BzGA ein deutsches Projekt Check dein Spiel betreibt. Das im Profil eingebaute Banner ist so lieblos erstellt, es enthält sogar Rechtschreibfehler. Laut Forenberichten funktionieren die Selbstsperren über Sperrlisten bei Stake nicht richtig, die Funktion im Casino selbst wird als “schwer zu finden” bezeichnet.
Wer Fan eines Streamers ist, der dorthin wechselt, der sollte bewerten, was dieser Schritt über die Wertschätzung des Publikums aussagt. Kick ist nicht nur Müll. Kick ist aktiv schädlich für die eigenen Zuschauer und hat keinen gesellschaftlichen Mehrwert. Die Streamer auf Kick sind für Stake das, was die Drogenschmuggler für die Cartels sind.