Diese Woche wollte ich mir neue Radkappen für mein Auto bestellen und weil ich schon einige Ersatzteile bei Autodoc bestellt hatte, suchte ich auf meinem Telefon „autodoc radkappen ford“, um mir ein paar Angebote einzuholen.
Das erzürnte scheinbar das Autodoc Web- oder Marketingteam. Und hierfür möchte ich mich entschuldigen. Mit Anspruch auf Vollständigkeit muss ich nach dem Aufruf der Seite folgende Schritte durchgehen, um das Privileg genießen zu dürfen, das Angebot zu sehen:
- Cookies akzeptieren (Vollbild)
- Werbung für die App wegklicken (Vollbild)
- Werbung für den Newsletter wegklicken (Vollbild)
- Benachrichtigungen blockieren (Vollbild)
- Weiteres Banner für die App wegklicken (Teilbanner unten)
Es scheint, dass diese Autoteileseite eine Newsletter- und App-Verkaufsplattform ist und keine Ware verkaufen möchte.
Polemik beiseite; ich mache hier nicht mehr mit.
E-Commerce heute ist schlechter als vor 10 Jahren
Ich entwickle nun seit 18 Jahren Webseiten und ich bin mittlerweile der Meinung, dass die aktuellen Seiten schlechter sind als sie es vor 10 Jahren waren. Der Grund hierfür sind nicht irgendwelche eskalierten Ansprüche, sondern die simple technische Möglichkeit, welche früher nicht gegeben war.
Damals mussten Webseiten noch im Internet Explorer 6 laufen und viele Besucher hatten DSL 1000 oder nur ISDN. Ein halbes Dutzend Tracker einbauen, ein automatisch spielendes Video und drei Popover waren damals weder von der Datenrate noch von der Anzeigegeschwindigkeit der Browser möglich. Die Seite hätte ewig geladen und irgendwann hat jemand auf den Tisch gehauen und gesagt: Unsere Seite muss schneller werden.
Aber nun sind diese technischen Argumente passé, also ist es die Aufgabe der Marketing-Abteilungen des deutschen E-Commerce, die Webseite so schlecht wie möglich zu machen, bis diese gerade noch funktioniert. Irgendwelche Metriken, welche oft nach Bauchgefühl für wichtig befunden werden, sind das Ziel der Webseite. Die Kundenerfahrung, insbesondere die Neukundenerfahrung, wird hintenangestellt. Ein Mitarbeiter, der ein Vollbild-Popover vorschlägt, welches den Kunden davon abhält das Produkt zu sehen, ist geschäftsschädigend und sollte anderweitig Verwendung finden.
Der Druck der Selbstrechtfertigung
Es ist nicht so, als ob ich die Marketingleute nicht verstehen würde. Der Druck, Metriken zu generieren und seinen eigenen Arbeitsplatz oder sogar eine Beförderung zu rechtfertigen, ist hoch. Das fällt anderen Jobs einfacher. Der Webentwickler kann neue Features präsentieren oder zeigen, wie viele Fehler er behoben hat. Der Einkäufer präsentiert seine Rabattverträge und der Produktfotograf seine Fotos. Der Supporter hat mehr oder weniger Fälle bearbeitet und der Vertriebler neue Großkundenverträge geschlossen.
Der Marketer jedoch steht doof da. Mehr Verkäufe sind nicht zwangsläufig auf einzelne Kampagnen zurückzuführen ohne exzessives Tracking und jemanden, der damit umgehen kann. Die Verbindung zwischen einem Werbespot und Mehrverkäufen herzustellen, ist eine Wissenschaft für sich und die Ergebnisse enthalten oft mehr Spekulation als man zugeben möchte.
Jetzt steht man also da und muss werben, kann aber Sachen wie Unternehmensimage nur schwer messen und es ist schwer nachvollziehbar zu machen, was eine Kampagne bringt. Aber Newsletter-Anmeldungen und App-Installs sind harte Metriken; Appstores geben mir tolle Metriken wie „active users per day“ und „average use time“. Da können Graphen erstellt werden und sogar eine direkte Verbindung zwischen meinem scheiß Popover und dem Graphen. Läuft! Machen wir mehr davon!
Wenn ich eine App will, hole ich mir eine App. Wenn ich permanent bei einem Shop bestelle, dann suche mir diese auch gezielt. Wenn ein Shop dafür bekannt ist, dass es immer gute Angebote gibt, dann abonniere ich mir den Newsletter. Westwing hat gezeigt, dass dieses Geschäftsmodell funktioniert.
Den Nutzer in den Vordergrund stellen
Ich schlage vor, sich hin und wieder vorzustellen, die Webseite wäre eine ganz normale Filiale, in der ich versuche meine Waren anzubieten. Wenn ich in einen Autoteileladen gehe, fragt mich kein Mitarbeiter, ob ich den Newsletter oder die App will, oder ob ich möchte, dass er mich nachts um 3 mit neuen Angeboten anruft.
Die Vorteile einer Webseite kann ich auch so präsentieren. Ein Shop, der eine gute Suche bietet, ist ein Segen. Passende Teile zu dem was ich bestellt habe, sind nicht nur verkaufsfördernd, sondern können auch ein Service sein, wenn ich direkt den passenden Dübel zu meiner Schraube vorgeschlagen bekomme.
Wie lösen wir das? Persönlich denke ich, dass bessere Kommunikation von koordinierten Werbemaßnahmen und weniger der Fokus auf einzelne Aktionen wichtig ist. Für die Online-Shops mache ich aber einen radikalen Vorschlag: Die Frage „Gibt es irgendeine Möglichkeit, wie wir dem Kunden weniger auf den Sack gehen können?“, muss exakt so gestellt und die Vorschläge auch umgesetzt werden. So lange es eine Tortur ist, in einem Onlineshop einzukaufen, ist es kein Wunder, wenn alles bei Amazon gekauft wird.