ESC macht wieder Spaß

In diesem Jahr habe ich keinen Beitrag über den ESC-Vorentscheid gemacht. Warum? Weil ich in den Beiträgen absolut nichts Besonderes gesehen habe. Und der Beitrag somit lediglich ein Shitstorm über die Vorauswahl des NDR gewesen wäre. Kurzum: Der Artikel hätte wenig Positives in sich gehabt.

Versteht mich nicht falsch: Alle 9 Songs haben ihre Daseinsberechtigung und die meisten davon sind auch absolut Okay. Aber insgesamt war die Auswahl nicht so interessant und vielfältig, wie sie es z.B. im letzten Jahr gewesen ist.

Letztlich fährt Isaak für uns nach Malmö und ich finde, es hätte uns auch schlimmer treffen können. Sorry Isaak, das ist jetzt nicht so böse gemeint, wie es klingt. Der Song ist gut und es gab auch Songs zur Wahl, die ich deutlich weniger gerne in Schweden gesehen hätte. Doch so gut der Song auch ist, er sticht leider nicht stark genug aus der Masse der anderen Teilnehmer heraus. „Always on the run“ ist im Formatradio gut aufgehoben, aber leider hat der NDR noch immer nicht verstanden, dass das nicht das entscheidende Kriterium für den ESC ist.

Doch darum soll es in diesem Artikel gar nicht gehen. Im Gegenteil: Ich habe meine Meinung zum ESC reflektiert und angepasst und das sorgt dafür, dass ich nun wieder Spaß am ESC habe und das völlig unabhängig davon, wer uns im Wettbewerb vertritt und auch egal, welche Platzierung wir damit erreichen.

Ich möchte an dieser Stelle eine Lanze für den ESC brechen. Und auch mit einigen Vorurteilen zum ESC aufräumen.

Wir gewinnen doch sowieso nie

Und außerdem bekommen wir ständig 0 Punkte und sind auch immer auf dem letzten Platz. Stimmt nicht!

In der Geschichte hat Deutschland insgesamt 10 mal den letzten Platz belegt und davon nur 3 mal mit 0 Punkten. Leider bleiben uns diese negativen Ergebnisse traurigerweise mehr in Erinnerung als die positiven.

Deutschland hat daraus auch schon einige respektable Top10 Plätze hingelegt. Die wurden in den letzten Jahren zwar seltener, aber Deutschland ist nicht „pauschal schlecht“ beim ESC. Unter https://www.eurovision.de/zahlenspiele/Alle-Ergebnisse-fuer-Deutschland-beim-ESC,deutschland744.html kann man sich die Ergebnisse bis 1956 zurück ansehen.

Dass Deutschland sehr oft auf den hinteren Plätzen ladet, bedeutet übrigens nicht, dass wir von allen gehasst werden oder immer so wahnsinnig schlecht sind. Es bedeutet vielmehr, dass wir nur nicht deutlich über dem Durchschnitt liegen.

Grund dafür ist das Punktesystem beim ESC. Aus allen Stimmen beim Voting ergeben sich am Ende eine gewisse Reihenfolge anhand der Stimmen für jeden Kandidaten. Aber nur die obersten 10 erhalten in dieser Abstimmung die Punkte 12, 10 und 8-1. Der Rest bekommt keine Punkte.
Und da spielt es dann auch keine Rolle mehr, ob Deutschland nun im Voting ganz hinten oder in der Mitte liegt. Bereits bei Platz 11 bedeutet das: 0 Punkte. Bei 26  Teilnehmern im Finale ist Platz 11 noch immer mehr als das Mittelfeld. Das spielt für das Endergebnis aber keine Rolle mehr.

Nachdem Lord of the Lost im letzten Jahr mal wieder den letzten Platz belegt hat. Warf das erneut die Frage auf, ob für uns denn niemand abgestimmt hat. Der NDR hat auf eurovision.de dann das Votingsystem nochmals erläutert und dabei auch entsprechende Zahlen veröffentlicht. Diese belegen, dass der deutsche Beitrag relativ gut im Mittelfeld lag und das ein oder andere Mal sogar an den Top 10 knapp vorbeigeschrabbelt ist.

Ich muss zugeben, dass dieses System für den Zuschauer kompliziert anmutet und undurchsichtig erscheinen mag und dementsprechenden Frust hervorruft, da man nicht so einfach sehen kann, wie gut oder schlecht das eigene Land denn wirklich abgeschnitten hat.
Gleichzeitig ist das System aber auch äußerst fair, denn jedes Land soll bei der Abstimmung gleich viel Macht haben. Das soll verhindern, dass größere Länder mit höherer Einwohner- oder Zuschauerzahl das Ergebnis stärker beeinflussen können. Daher werden die besten 10 pro Land in diese entsprechenden Punkte umgewandelt.

Wenn wir also dieses Jahr mal wieder den letzten Platz belegen, sollten wir uns dadurch nicht die Laune verderben lassen. Denn letztlich bedeutet das nur, dass es nicht ganz für die Top 10 gereicht hat, aber es bedeutet nicht zwangsläufig, dass niemand was für uns übrig hatte.

Die Länder schieben sich die Punkte gegenseitig zu

Ja, das mag so wirken und in manchen Konstellationen mag das durchaus die Wahrheit sein. Das ist aber durchaus zu vernachlässigen.

Die Gesamtpunktzahl setzt sich zum Teil aus einer internationalen Fachjury und aus dem Zuschauervoting zusammen.

Die Jury bewertet nach musikalischen Gesichtspunkten und stammt aus allen teilnehmenden Ländern. Hier ist es kaum möglich, für das eigene Land zu stimmen, denn alle anderen Jurymitglieder haben da ja auch noch ein Wörtchen mitzureden. Und letztlich spricht die Jury auch nicht das letzte Wort. Das Ergebnis kann sich durch die Stimmen der Zuschauer nochmal drastisch verändern.

Vor dem Fernseher ist die Abstimmung aber oftmals eine reine Bauchentscheidung. Hier spiel es eine große Rolle, ob das Lied gefällt, ob die Bühnenshow Spaß machte oder auch manchmal, ob der Sänder oder die Sängerin gut aussah.
Da die Zuschauer aber nicht für das eigene Land abstimmen dürfen, wünscht sich so mancher Zuschauer, aber dennoch einen Sieg aus den eigenen Reihen. Daher stimmen manche gerne mal für das Nachbarland ab oder für ein Land, mit dem man sympathisiert. Hin und wieder vielleicht auch für ein Land, weil der Interpret gebürtig aus dem eigenen Land stammt oder dort wurzeln hat.

Letztlich hat es bisher kaum etwas gebracht, beim Voting Allianzen mit anderen Ländern zu schließen. Die Stimmen sind dafür über ganz Europa viel zu weit verstreut.

Für den ESC interessiert sich doch keiner mehr

Auch das stimmt leider nicht. Die Einschaltquoten der Finalshow sind in den letzten Jahren sogar wieder gestiegen und liegen in den letzten 20 Jahren im Schnitt bei 30-35 % Marktanteil und in absoluten Zahlen im oberen einstelligen Millionenbereich.

Damit sehen im Schnitt mehr Menschen den ESC als den Tatort. Und es würde wohl kaum einer behaupten, der Tatort würde nicht das Interesse der Zuschauer wecken.

Geschlagen wird der ESC fast nur von Wetten, dass..?.

Die höchsten Quoten hatte der ESC übrigens 2010 und 2011 als Lena den ESC gewann und im Jahr darauf erneut antrat. Schuld daran war sicherlich die Tatsache, dass Lena von den Wettbüros als potenzielle Zweitplatzierte gehandelt wurde und im Jahr darauf lag das Interesse sicherlich darin begründet, dass man sich wünschte, Lena würde den Sieg von Vorjahr wiederholen.

Ansonsten lagen die Einschaltquoten auch im Jahr 2004 ähnlich hoch, als mit Max Mutzke erstmal ein öffentlich gecasteter Schützling von Stefan Raab beim ESC antrat.

Der ESC kostet uns zu viel Geld

Ein Argument, das ich immer wieder höre, aber genau das Gegenteil ist der Fall.

Deutschlands beliebteste TV-Formate kosten weitaus mehr. Wetten, dass..? gehörte einst zu den beliebtesten Samstagabend-Shows und wurde zu Hochzeiten 6-7 mal pro Jahr produziert und ausgestrahlt. Im Schnitt kostete eine einzige Ausgabe ca. 2 Millionen Euro. Pro Jahr summiert sich das auf etwa 12-14 Millionen Euro hoch.

Ebenfalls beleibt in deutschen Fernsehen ist der Tatort, der Sonntags eine nicht unerhebliche Zuschauerschaft vor die Glotze holt.
Pro Jahr produziert die ARD etwa 35 neue Folgen, von denen jede einzelne etwa 1,5 bis 1,7 Millionen Euro kostet. Pro Jahr landen wir da also bei über 52 Millionen Euro.

Der ESC findet einmal pro Jahr statt und beinhaltet insgesamt 3 abendfüllende Liveshows. Nämlich die beiden Halbfinals am Dienstag und Donnerstag und das Finale am Samstag-Abend. Die Kosten, die Deutschland dafür trägt, sind in den letzten Jahren erkennbar gestiegen.
Dennoch ist der ESC mit 473.000 € (2023) ein wahres Schnäppchen.
Insbesondere wenn man bedenkt, dass man für diesen Preis gleich 3 Shows bekommt, die relativ gute Einschaltquoten bescheren.

Letzteres ist für uns in Deutschland weniger relevant als in anderen Ländern. Denn dort wird der ESC nicht nur auf öffentlich-rechtlichen Sendern, sondern auch auf Privatsendern ausgestrahlt. Diese Sender haben durchaus auch ein wirtschaftliches Interesse daran, dass die gezeigte Werbung von möglichst vielen Zuschauern gesehen wird.

Insgesamt ist der ESC durchaus eine wahnsinnig teure Produktion. So kostete der ESC in Turin knapp 11 Millionen Euro, der ESC in Wien sogar 15 Millionen Euro. Das entspricht in etwa den Kosten einer Fußballübertragung aus der britischen Premier-League.
Diese Produktionskosten tragen aber alle teilnehmenden und übertragenen Länder gemeinsam. Die Anteile fallen je nach Land durchaus unterschiedlich aus, was natürlich der jeweiligen Größe des Landes gemessen wird.

Deutschland gehört mit Spanien, Frankreich, Italien und Großbritannien zu den Big Five und wird oftmals als die „Zahlmeister des ESC“ bezeichnet. In reinen Zahlen mag das wohl stimmen, wen man behauptet, dass wir zu den größten Geldgebern dieser Veranstaltung gehören. Der prozentuale Anteil liegt aber bei grade mal 3,7% (Beispiel ESC in Turin). Also Zahlmeister würde ich anders definieren.

Für die beteiligten Fernsehanstalten ist das ein sehr gutes Geschäft, da sie für den bezahlten Beitrag niemals eine Produktion auf diesem Niveau kaum hätten selbst produzieren können.

Im Jahr 2015 führte eurovision-spain.com eine Analyse über die Kosten des ESC durch. Dabei wurde festgestellt, dass eine Minute Sendezeit beim Eurovision Song Contest 791 Euro kostete, während eine Minute Sendezeit eines Fußball-Europameisterschaftsspiels im Jahr 2016 (bei voraussichtlich ähnlicher Zuschauerzahl) dagegen 21.600 Euro betrug. Diese Daten werfen die Frage auf: Wenn sich diese Investitionen nicht rentieren würden, wäre es nicht längst aufgegeben worden?

Wieso noch Energie hineinstecken, wenn wir nicht gewinnen?

Nun, ein gewisser Ehrgeiz ist ja durchaus lohnenswert bei einem Wettbewerb. Keine Frage. Aber aufzugeben, wenn man nicht gewinnt ist ja auch keine Lösung.

Deutschland spielt ja auch seit 1939 bei der Fußball-WM mit und hat diese „nur“ 4 mal gewonnen.

Der ESC hat so um die 40 Teilnehmer und im Finales sind es dann noch 26. Es wäre utopisch, zu glauben, man könne jedes Mal gewinnen. Manche Länder haben schon öfter gewonnen, aber manche auch noch nie.

Frei nach dem Motto: „Dabei sein ist alles“, macht der ESC doch einen riesen Spaß alleine beim zusehen. Und wirklich geschadet hat der letzte Platz bisher noch niemandem. Lord of the Lost belegten letzte Jahr ebenfalls den letzten Platz und sie würden es jederzeit wieder tun. Selbt wenn sie wüssten, dass sie wieder letzer werden. Die Karriere der Band hat nach dem ESC nochmal so richtig Fahrt aufgenommen.

Vorentscheid 2024

Ein paar Worte möchte ich dennoch über den Vorentscheid verlieren. Ich fand es wieder sehr schade, dass die Sendung auf nach 22 Uhr verlegt wurde. Ich habe mich aber bis 00:40 Uhr bis zu Schluss durchgeschlagen.

Ganz vorne waren für mich Ryk, Max Mutzke, Bodine Monet und ISAAK. Max Mutzke vor Allem, weil es sein Comeback beim ESC nach 20 Jahren gewesen wäre. Letztlich wurde es ISAAK und ich bin mit der Entscheidung nicht unzufrieden.
GALANT empfand ich jedoch als äußert nerviges Lied und Marie Reim trat mit einem so klassichen Schlager an, dass ich schwören könnte, dass es genau den Song schon mal gab.

Beim ESC macht es isgesamt aber mehr Spaß, wenn man die Hintergründe kennt und nicht alles schlecht redet. Am 11. Mai sehen wir das ESC-Finale dann Live aus Malmö in der ARD. Und ich bin sehr gespannt, wer dieses Mal kommentieren wird. Peter Urban hat das Mikrofon im letzten Jahr an den Nagel gehängt. Als Nachfolgerin wünscht er sich Anke Engelke. „Ich weiß nicht, ob sie es machen würde, aber sie liebt den ESC, ist witzig, ist empathisch und eine sympathische Frau – und sie hat Mitgefühl für andere“, sagt der 75-Jährige der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Lassen wir uns überraschen.

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