Abrechnung mit Analytics: „Erfassen wir erstmal alle Daten, und dann zahlen wir einfach für Google-Werbung“

Die Umtriebe der Online-Marketingwelt habe ich dieses Jahr bereits zum Thema im Blog gemacht, aber heute möchte ich mal weg von den Metrik getriebenen Entscheidungen und hin zum Tracking selbst.

Mit der Einführung der tollen Cookie-Banner können sich Besucher nun entscheiden, ob sie Tracker möchten oder nicht, eigentlich gibt es dafür einen Do-Not-Track-Header, aber diesen zu beachten wäre ja gut für den Nutzer und das wollen wir nicht. Also nutzen die meisten Seiten irgendwelche Dark Patterns, welche den Nutzer manipulieren, doch das Tracking zuzulassen. Praktisch ist das fast immer Google Analytics.

Theorie

Analytics rennt dann los und erfasst erstmal alles, was dieser Benutzer tut: wie lange, auf welchen Seiten verblieben wird, mit welchen Geräten man surft, wie oft man wiederkommt, wo man herkommt und wie viele man konvertierte (also ein Ziel, wie Kauf oder Kontaktaufnahme, erreicht). Bei einer funktionierenden Webseite kommen da schnell extrem viele Daten zusammen, auf welche ich dann Auswertungen fahren kann.

Analytics ist sehr mächtig. Wenn ich mit fortgeschrittenen Labels, Goals und „utm_“-Parametern arbeite, kann ich hier extrem gute Auswertungen fahren und meine Seite entsprechend optimieren. Wenn ich nun noch in der Lage bin, mit A:B-Tests aufgestellte Hypothesen zu validieren, habe ich hiermit einen Werkzeugkoffer an der Hand, um Webseiten durchzuoptimieren und möglichst viele Besucher auch zu Kunden zu machen.

Nett! Aber in der Praxis?

Nur bei reinem Conversion-Geschäft, also z. B. dem Verkauf von privaten Krankenversicherungen über SEO, also bei einem absolut rein definiertem Ziel ohne echtes Produkt wird dieses Toolkit sinnvoll eingesetzt.

In Firmen mit echten Produkten, seien es SaaS-Produkte, Shops oder klassische Firmenpräsenzen, wird zwar getrackt, als gäbe es ein kein Morgen, sinnhafte Auswertungen, welche zu Verbesserungen führen, kommen aber selten vor. Auf die Gründe will ich daher einzeln eingehen.

Die Webseite selbst ist nicht gewartet

Stell dir eine Schreinerei vor, in welcher die Werkzeuge seit 5 Jahren nicht gereinigt wurden, alle Fahrzeuge keinen TÜV haben und der Müll nicht geleert wird. Unvorstellbar, aber Webseiten, die „irgendwo“ gehostet sind, für die irgendwer eventuell Zugänge hat, und der Freelancer, welcher die 1992 gebaut hat, ist in Rente, findet man selbst bei großen Mittelständlern. Entweder ist irgendwie die IT zuständig oder es gibt theoretisch einen Homepagebeauftragten. Der stellt dann jedes Jahr eine News zur Betriebsfeier ein und kann sein Uralt-CMS kaum bedienen.

Webseiten sind zwar digital, aber sie verstauben und gehen kaputt. Die Technik entwickelt sich weiter und externe Abhängigkeiten wie Linkziele oder Adobe-Flash fallen weg. Eine schlecht getestete Änderung am Webserver oder das Verlieren einzelner Dateien führt zu kaputten Webseiten, welche irgendwann auch optisch aus der Zeit fallen.

Wenn ich eine Seite habe, auf der Bilder fehlen, die neueste News eine 10 Jahre alte Betriebsfeier ist und das Framework auf PHP 5.1 läuft, dann brauche ich nicht mit Analytics anfangen.

Marketing ohne Kennzahlen

Marketing ist metrikenbasiert. Die wichtigste Kennzahl ist die ROI, also Return on Investment. Ein ROI von 1 bedeutet, für 1 € Marketingbudget wird 1 € an Gewinn gemacht. Ein ROI von 5 gilt als normaler Richtwert, bei weniger als 1 verliert das Marketing Geld.

Dieser Wert wird so gut wie nie erfasst, da er ja zeigen könnte, dass die Aktionen nichts bringen und sich der Aufwand nicht lohnt. Oder wenn, dann wird er so gerechnet, dass es schöner aussieht, also z. B. ohne Gehälter oder ohne Vorbereitungszeit.

Kann eine Marketingabteilung die Frage: „Was ist der ROI unseres Newsletters?“, nicht beantworten, so gehört sie entlassen. Ohne Kennzahlen kann man nicht optimieren, also brauche ich auch nicht mit Analytics anfangen.

Analysen ohne Produktkenntnis

Fast jede Firma verkauft etwas, die Mitarbeiter sollten verstehen, was ich verkaufe und an wen. Die Mitarbeiter, welche die Analytics-Daten auswerten, müssen exakt verstehen, was das Produkt hergibt und welche Entwicklungen gerade entstehen. Ist ein Mitarbeiter nur mit Teilen des Produktes vertraut, so werden auch nur diese Teile beworben, obwohl sich der USP des Angebotes an sehr fortgeschrittene Kunden wendet.

So müssen neue Funktionen oder fortgeschrittene Anwendungszwecke sauber an den Kunden kommuniziert werden, das ist Kernaufgabe der Kundenkommunikation. Eine Auswertung macht keinen Sinn ohne fachlichen Kontext, wäre das möglich, wären die entsprechenden Statistiken von den Tools automatisch generiert. Ein Marketingmitarbeiter, welcher das Produkt und die Kunden nicht versteht, ist dort falsch, und braucht gar nicht mit Analytics anfangen.

Optimierung ohne Datenbasis

Bei Analytics geht es um Mengenoptimierung. Ich werde immer Kunden haben, welche abspringen, und immer Kunden, welche auch bei den schlechtesten möglichen Konditionen bestellen. Um mit Tracking irgendwelche Muster zu erkennen, brauche ich ein gewisses Grundrauschen an Besuchern, welches meine Daten überhaupt verwertbar macht. Eine Unterseite, welche 20 Besucher pro Monat verzeichnet, kann nicht mit solchen Tools ausgewertet werden, da der Einfluss des Einzelnen so hoch ist, dass keine sinnhaften Erkenntnisse aus einem A:B Test gemacht werden können. Habe ich kaum Besucher, brauche ich kein Analytics.

Keine A:B-Tests

Analytics ohne A:B-Tests hat keinen Sinn. Eine These, also z. B.: „Wenn wir mehr Bilder haben, verkauft sich unser Produkt besser“, muss bewiesen werden, da es keine universellen Antworten gibt.

Natürlich gibt es hierfür Softwarelösungen. Ich kann einem Besucher zufällig entweder die alte oder die neue Version meiner Seite zeigen, und dann auswerten, ob die von mir vorher festgelegten Metriken erreicht werden oder nicht. Die Metrik hier ist ROI – siehe oben – alles andere ist sekundär. Ist die Metrik nicht vor Beginn des Tests festgelegt, so ist die Auswertung am Ende wertlos, da sich irgendwelche Werte immer positiv verändern. Eine längere Ladezeit führt ja auch zu längeren Aufenthaltszeiten.

Ist das Ziel von Analytics nicht, A:B-Tests zu fahren, bzw. hat mein Team gar kein Budget dafür, dass Alternativversionen von Externen oder der IT entwickelt werden, so kann ich mir Analytics auch sparen.

Große Analytics zur Ermittlung kleiner Zahlen

Meine privaten Seiten haben keine Analytics, weil mich die Daten nicht interessieren. Dieser Blog hat Log-Analytics und die einzige Info, welche Dominik mir manchmal mitteilt, ist: welche Artikel sind die populärsten. Das ist ein netter Fun Fact, aber ich würde auch Artikel schreiben, wenn sie keiner liest und ich passe das Geschriebene nicht an die Zielgruppe an, sonst würde ich mehr über Tonieboxen und Hello Fresh schreiben, und weniger über Marketingthemen, in diesem manigfaltig Thematisch bestücktem Blog.

Für die Info, was verhältnismäßig populär ist, brauche ich aber kein Analytics. Ein Tracking im Backend, die klassische Logfileanalyse oder die Basic-Analytics von Cloudflare würden es auch tun und weniger Daten erfassen. Auch simple Dinge wie Newsletter-Klickzahlen kann ich ohne Analytics ermitteln, fast jeder Newsletter-Anbieter hat hierfür eine Lösung.

Will ich nur solche Detailinfos, brauche ich kein Analytics, da es als Lösung in keinem Verhältnis zur Größe steht.

Was braucht man denn nun?

Fein, das Tracking-Produkt hat Anwendungsfälle, wäre dem nicht so, würden Großkonzerne hier keine Millionen investieren. Aber dafür braucht es einige Voraussetzungen, hier liste ich mal auf, was nötig ist, sodass ein positives Ergebnis (sprich: mehr Gewinn) durch Analytics erzielt werden kann:

  • Eine Webseite, welche technisch modern und inhaltlich aktuell ist
  • Ein gutes Produkt, welches auch verfügbar ist
  • Zeitbudget für IT, um Tracking und A:B-Tests zu implementieren und große Veränderungen umsetzen zu können
  • Definierte und regelmäßig erfasste Kennzahlen für die Erfolgsmessung
  • Eine relevante Nutzerbasis (150+ Besucher am Tag)
  • Klar definierte und messbare Ziele (Newsletter-Abos, Event-Teilnahmen, Umsatz etc.)
  • Marketing-Mitarbeiter, welche das Produkt gut bis sehr gut kennen und proaktiv Informationen über Probleme und neue Produkte gewinnen
  • Marketing-Experten, welche mit Analytics-Software umgehen können, Analysen selbstständig definieren und durchführen sowie A:B-Tests konzipieren können
  • Eine Firmenkultur, welche keine 100-%-Erfolgsrate erwartet
  • Bisherige, simplere Auswertungen werden aktiv genutzt und fließen in Projekte ein

Ist das alles erfüllt, so besteht die Möglichkeit, dass Analytics etwas bringen könnte. Für mich gibt es eine sehr einfache Metrik zu erkennen, ob es eine solide Grundlage in einer Marketingabteilung gibt: Teilen die Mitarbeiter freudig mit, wenn eine neue Kampagne erstellt wurde, oder teilen sie die Erfolge/Misserfolge der erstellten Kampagne? Wenn es ein Erfolg ist, 10 Tweets pro Monat zu konzipieren, aber nicht genannt wird, welchen wirtschaftlichen Impact diese hatten, so kann ich mir die ganze Abteilung sparen.

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